Ihr Lieben,
Farbe auf Beton ist derzeit leider nicht mehr im Handel erhältlich. Ein paar Restexemplare & eine ebook-Version der Geschichte habe ich allerdings. Falls ihr neugierig seid und die Geschichte lesen möchtet, könnt ihr euch also direkt bei mir melden. Hier findet ihr einen kleinen Auszug aus dem ersten Kapitel sowie die gesamte Leseprobe zum Download. Viel Spaß!
Aller Anfang ist grau
»Bist du Rotkäppchen?«
Elisa ließ sich einen Moment Zeit, um den Klang seiner Stimme mit geschlossenen Augen wirken zu lassen. Sie war rauchig wie ein im Holzfass gereifter Merlot, jede Silbe ein purpurroter Tropfen. Worte wie eine Weinlache, einlullend und leuchtend zugleich, in der sich das Bild des Mannes spiegelte, mit dem sie die nächsten 33 Tage verbringen würde.
DieArcheNoah. Seit sie ihn vor sechs Wochen in einem Internetforum kennengelernt hatte, löste dieser Name eine Mischung aus Angst und Vorfreude auf ihre bevorstehende Reise aus. Schließlich wusste sie nichts über ihn außer seinem Forennamen, seiner Reiseroute und der Tatsache, dass er sich spontan dazu bereit erklärt hatte, sie nach Asien mitzunehmen. Eine Reise durchs ländliche China, über einen Monat lang, acht Orte — es war verrückt. Aber auf gute Weise.
In Gedanken hatte Elisa dutzende Bilder der Person gemalt, die ihr unbekannter Reisekumpan sein könnte. An einem Tag sah sie Noah als Aussteiger mit langen Haaren und unrasiertem Gesicht, der von den Regeln der Gesellschaft genug hatte, ein anderes Mal als belesenen älteren Herren mit Safarihut und Khaki-Hosen. Dazwi-schen schob sich immer wieder das Bild vom biblischen Noah mit seiner Arche. Noah wurde zur Karikatur oder zu einem Spraybild in Neonfarben, bis sie Mühe hatte, sich ihn als echten Menschen vor-zustellen, und auch ihre gemeinsame Reise erschien ihr immer mehr wie etwas, das nur in ihrer Fantasie existierte. Dass sie nun in der Wartehalle am Flughafen saß, bereit, nach China aufzubrechen, kam ihr surreal vor. Dass Noah als echter Mensch vor ihr stand, noch mehr. Er räusperte sich.
»Ich bin’s, Noah. Also — DieArcheNoah vom Forum. Bist du Rotkäppchen?«
Das Zittern in seiner Stimme wirbelte Wellen durch das weinrote Pfützenbild. Erst jetzt öffnete Elisa die Augen und hob den Blick. Er war — nun, nicht ganz das, was sie erwartet hatte. Noah war groß, trug Jeans, Sweatshirt und Brille und war jünger als erwartet. 8Anfang zwanzig wahrscheinlich. Vielleicht erweckten diesen Eindruck auch das bartlose Kinn, sein raspelkurzes Haar, beinahe wie der Flaum eines Babys, oder sein jungenhaftes Grinsen. Seine Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben und während er auf eine Antwort wartete, wippte er leicht vor und zurück. Seine Bewegungen flirrten vor Nervosität. Elisa brauchte einen Moment, um sich zu überzeugen, dass der Mann, der vor ihr stand, wirklich Noah war. Denn weder mit ihrem Fantasie-Noah noch mit dem rauchigen Weinrot seiner Stimme hatte die echte Version viel gemein. Er wirkte eher maigrün — frühlingshaft unentschlossen mit Haut so dünn wie Gras.
Elisa hatte sich eine erste Begegnung wie ein Feuerwerk gewünscht, stattdessen fühlte sie Enttäuschung. Reiß dich zusammen, schalt sie sich. Nicht vorschnell urteilen. Also zwang sie sich zu einem Lächeln. »Du bist das also. Hallo.«
Er schien ihre Enttäuschung zu spüren, denn sein Grinsen ver-schwand und er legte die Hand in den Nacken, um einen imaginären Fussel zu entfernen.
»Möchtest du dich setzen?«, fragte Elisa und hob ihre Tasche vom Nachbarsitz.
»Gerne.« Schon war sein Grinsen zurück und noch in der Bewegung plapperte er los:»Weißt du, ich bin ehrlich gesagt ein bisschen stolz, dass ich dich so schnell gefunden habe.«
Dabei musterte er sie dermaßen intensiv, dass sie den Drang ver-spürte, sich zurückzulehnen, um den Abstand zwischen sich und Noah zu vergrößern. Seine Nervosität schien sich von einem Moment zum anderen in blubbernde Neugierde verwandelt zu haben. Wie im April, dachte Elisa. Auf Regen folgt Sonnenschein.
»Du hattest ja bereits per Mail angekündigt, dass du mich erken-nen würdest.«»Das stimmt. Ich meine, ich hatte es gehofft. Glaubst du an das Schicksal?«»Eigentlich nicht.«9»Ein bisschen vielleicht?«, hakte er nach.
»Nein.«
Falsche Antwort. Noah starrte sie drei Sekunden lang mit offenem Mund an, ehe er sich fasste und sagte:»Na ja, wenigstens habe ich dich auf schicksalhafte Weise gefunden.«
»Die roten Haare haben mich verraten, oder?«
Zur Antwort seufzte Noah. »Können wir uns darauf einigen, dass das Schicksal mich nicht far-benblind hat sein lassen?«, fragte er, womit er Elisa zum Schmunzeln brachte.
Vielleicht war ihr Reisegefährte doch nicht so übel. Immerhin hatte er Humor. Sie würde ihm eine Chance geben, ihr blieb gar keine andere Wahl, denn alleine traute sie sich die Reise nicht zu.
»Weißt du, seit deiner ersten Chatnachricht frage ich mich, wer hinter Rotkäppchen steckt. Ich bin ziemlich gespannt darauf, dich kennenzulernen, und noch gespannter auf unsere Reise. Das ist er also: Der Beginn unseres China-Abenteuers! Und der Anfang ist immer der spannendste Teil jeder Geschichte.«Während Noah sprach, breitete er die Hände aus, als fordere er die gesamte Wartehalle auf, ihn zu umarmen.
»Ja, das ist er«, bestätigte Elisa aus reiner Höflichkeit. Sie wollte sein Grinsen nicht schon wieder verschwinden lassen. Seine Worte waren nur Floskeln und doch berührten sie etwas in Elisa. Anfänge wie Enden hatten sie nie interessiert. Warum auch, wenn das Leben immer gleich vor sich hindümpelte? Aber nun fragte sie sich, ob dieser Moment überhaupt der Anfang war. Hatte ihr Abenteuer, wenn man es denn so nennen wollte, nicht viel früher begonnen? Vor diesem Moment, vor Noahs Weinstimme und sogar vor ihrem virtuellen Kennenlernen im Chinaforum?
Aber wann genau war es passiert?
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